„Jöööhh!!!“ Es war das gefühlte 436te Mal, dass er dieses Wort innerhalb der letzten 10 Minuten gehört und in ungefähr eben so viele verliebte Augenpaare geblickt hatte. Doch er nahm es mit einer routinierten Gelassenheit zur Kenntnis, denn er war es sich gewohnt. Auch, dass die Verzückungen und die Blicke nicht ihm galten, sondern Wuffi*, dem Hund seines Freundes Sven. Denn immer, wenn die herzige Hundedame ins Blickfeld einer Frau geriet, ging bei der Betrachterin die Chinesin in ihr durch. „Der ist ja so süss, den könnte ich auf der Stelle auffressen“, war der Satz, der nach „Jöööhh!!!“ am meisten über die mal dezent, mal weniger dezent geschminkten Lippen der tierlieben Frauen kam.
Er hatte Wuffi für diesen Abend ausgeliehen, nach dem Sven ihm vorgeschwärmt hatte, wie Wuffi auf Frauen wirke. Wuffi sei der absolute Frauentraum: Süss wie 1’000 Tafeln Schokolade, aber ganz ohne Kalorien. Oder anders ausgedrückt: Wuffi wecke in Frauen den Mutterinstinkt, ohne den Nachgeschmack vollgeschissener Windeln hervorzurufen. Und weil so ein spontaner und bedingungsloser Kinderwunsch wie Brennsprint für die weibliche Libido sei und der einfühlsame Hundehalter, der ja automatisch den führsorglichen Vater symbolisiere, das Zündholz, welches das Feuer entfache, müsse eigentlich mindestens jede 10te oder zumindest jede 13te Wuffi/Frau-Begegnung früher oder später im Schlafzimmer enden. So Svens Theorie.
Kurz nachdem er in der Lounge seines Lieblingsrestaurants angekommen war, setzte er sich auf einen der Designersessel, nahm Wuffi auf seinen Schoss und kraulte sie demonstrativ, so dass alle es sehen konnten, zärtlich hinter dem Ohr. Und wie erhofft blieb seine Liebkosung nicht lange unentdeckt, denn schon bald war seine Hand nicht die Einzige, die durch Wuffis Fell strich. Immer wieder setzten sich Frauen für einen kurzen Moment neben die Zwei und taten mittels Glücksseufzern und glasigen Augen ihre Entzückung kund.
Mittlerweile gaben sich schon weit mehr als 13 Frauen die Klinke in die manikürte Hand, doch keine der Damen liess sich zum Bleiben geschweige denn zu mehr überreden. Und auch nach 3 Stunden und 8 Bier war Svens Theorie noch nicht in die Praxis umgesetzt. Doch dann, er wollte schon aufgeben und die Rechnung verlangen, fand sich eine hübsche Brunette ein, die länger als die üblichen 5 Minuten sitzen blieb. Ganze 4 Cüplis lang. Nach dem sich Wuffi gelangweilt unter den Tisch legte und sich der Aufmerksamkeit der Frau entzog, kam er mit ihr ins Gespräch. Sie sprach über das schlechte Wetter, er hörte zu. Sie sprach über ihren Ex-Freund, er hört zu. Sie sprach darüber, wie kurz das Leben sei und man es doch geniessen müsse, er hörte zu und legte ihr zustimmend seine Hand auf ihr Knie. Doch je mehr Cüplis sie trank, desto unverständlicher waren die Worte, die aus ihrem süssen Mund kamen. Führsorglich wie er war, bot er ihr an sie nach Hause zu bringen. Sie nahm sein Angebot mit einem innigen, nach billigem Prosecco riechenden Kuss an. Er war verblüfft. Auch noch in ihrem Schlafzimmer wo sie sich am Reisverschluss seiner Hose zu schaffen machte konnte er es kaum glauben: Sven hatte recht.
Währenddessen legte sich Wuffi im Wohnzimmer zum Schlafen auf die Couch. Aus dem Schlafzimmer ertönte die Stimme der fremden Frau die einen Laut von sich gab, den Wuffi pro Tag gefühlte 643 Mal zu hören bekam: „Jöööhh!!!“
*Name geändert, der Redaktion aber bekannt.