David Hugentobler betextet nicht nur Werbemittel. Ab und an darf er auch Beiträge für Magazine und Blogs, etc. schreiben. Oder er macht zusammen mit einem befreundeten Grafikatelier gleich selbst ein Buch. Das macht er gerne. Aber zuwenig. Fauler Sack.
Fragen darf man ja mal.
Ist es gesund, wenn man ins Gras beißt? Sind Bettnässer nicht ganz dicht? Und wenn man Zeit totschlägt, kommt man dann ins Gefängnis? Fragen, auf die die Menschheit gewartet hat, wie die Eskimos auf Schnee. Oder die Sau auf den Metzger. David Hugentobler stellt sie aber trotzdem.
Gestaltungskonzept: Designatelier Saloon, Zürich. www.saloon.li
Verlag: Lardon, Berlin
Idee und Text: David Hugentobler
Hanspeter Schneider arbeitet seit 1983 als freier Fotograf für Vogue, Elle, GQ, Stern,Yves Saint Laurent, Boss und L’Oreal. Seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, unter anderem beim Festival de la Mode, Barcelona, bei der Art of Photography, London und in der Parco Gallery, Tokio.
Mama, seine vermutlich persönlichste Arbeit, ist eine Liebeserklärung an die Mama, die Familie und an das Leben.
David Hugentobler kam die Ehre zu Teil, ein Vorwort für das Fotobuch zu schreiben. Er tat das in Form einer kleinen Geschichte.
Gestern Abend habe ich wieder einmal in einem unserer Familienalben geblättert. Während ich mir die Fotos angeschaut habe, wurde mir klar, dass ich nicht immer der Sohn bin, den du eigentlich verdient hättest.
Mama, du weißt ja, ich bin kein grosser Redner wenn es um meine Gefühle geht. Das hab ich wohl von Papa. Darum schreibe ich dir diesen Brief. Ich will dir darin eine Geschichte von einem meiner Bekannten erzählen. Nennen wir ihn Mauro.
Mauros Ex-Freundinnen haben alle etwas gemeinsam: Sie können keine vernünftige Pastasauce kochen. Oder zumindest nicht so, wie Mauros Mama das kann. So sehr sie sich auch angestrengt hatten - und es gab durchaus die eine oder andere, die die Herausforderung annahm - keine der Saucen konnte es mit der seiner Mama aufnehmen. Wie auch. Schon nur eine Gabel voll von Spaghetti mit Mamas Tomatensauce ruft bei Mauro die Erinnerung an seine Kindheit hervor. An das Gefühl von frisch gebadeter Haut, die mit einem weichen Kindermorgenmantel umhüllt wird, die zierliche, perfekt manikürte Hand, die ihm tröstend über seinen schluchzenden Kinderkopf streicht oder die Enttäuschung, als er Weihnachten 1981 ein Geschenk auspackt und dabei entdeckt, dass es sich um einen Strickpullover, statt um das heiss ersehnte Piratenschiff von Playmobil handelt.
Bis vor kurzem schwelgten Mauro und sein nostalgischer Gaumen zweimal pro Woche in Kindheitserinnerungen. Immer Mittwochabends und Samstagmittags, in der Küche von Mauros Mama. Als Beilage gab es gutgemeinte Ratschläge und Bemutterung à Discretion. Dass sie ihn dabei noch immer „ihren kleinen Hamster“ nannte, akzeptierte er zwar stoisch, hätte es aber angebrachter gefunden, wenn sie es nicht getan hätte. Immerhin hatte er keine Pausbäckchen mehr, seit er mit Zwölf anfing Fussball zu spielen. Spätestens aber, seit er sich mit 25 einen Bart wachsen liess, der seither den unteren Teil seines Gesichtes überdeckt.
Der Grund, warum er beschloss sich von seiner Mama zu emanzipieren, war aber nicht der „kleine Hamster“, sondern das „süsse Käferlein“, wie er seine aktuelle Freundin Veronica liebevoll nannte.
Veronica fand, dass Mauros enge Beziehung zu seiner Mama (und deren Tomatensauce) im Originalton: „ödipueske“ Züge aufwies. Was sich auf Dauer nachteilig auf Veronicas Libido auswirken konnte. Sie musste es ja wissen. Schliesslich hatte sie vor zwei Monaten ein Psychologie-Fernstudium begonnen. Zudem hatte Mauro keine Lust das Schlafzimmer in Zukunft nur noch zum Schlafen zu benutzen. Also wurde aus „Mama“ bald „Mutter“ und aus dem wöchentlichen Besuch ein kurzes Telefongespräch, alle 14 Tage. Gegen Aussen hin nahm Mauros Mutter die Abnabelung ihres Sohnes tapfer zur Kenntnis, vergoss aber im Verborgenen Tränen des Verlusts. Immer Mittwochabends und Samstagmittags, wenn sie alleine in ihrer Küche sass.
Die Emanzipierung von seiner Mutter ging aber auch an Mauro und seinem Gaumen nicht spurlos vorüber. Seit dem kalten Entzug von Mutters Tomantensauce erschien jede Mahlzeit irgendwie fad und uninteressant. Darum entschloss er sich nach einer Weile der Abstinenz, die Tomatensauce heimlich nachzukochen. Er konnte ja schliesslich selber ganz gut kochen, auch wenn seine Kochkünste ein bisschen eingerostet waren, seit er mit einer strikten Veganerin zusammen lebte.
Immer wenn Veronica abends zum Beispiel im Bykram-Yoga, in der feministischen Literaturgruppe oder beim Osmanischen Ausdruckstanz war, nutzte er die Zeit dem Geheimnis von Mutters Tomatensauce auf die Spur zu kommen.
Doch egal ob er als Basis frische San Marzano-Tomaten aus dem Feinkostladen, Pelati aus dem Supermarkt oder Ketchup aus der Flasche verwendete. Dem Sugo Salz aus der Algarve, Pfeffer aus Tasmanien oder Maggi aus Cham beifügte. Oder die Sauce mit italienischen, französischen oder australischem Rotwein ablöschte: Die Zusammensetzung der Tomatensauce seiner Mutter blieb ihm ein ungelöstes Rätsel.
Am Abend seines ungefähr 28. Versuches gab er auf und sank enttäuscht aufs Wohnzimmer-Sofa. Dann, während er langsam seine Beine ausstreckte, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der ihn in sekundenschnelle wieder aufsitzen liess: Selbst wenn er in Besitz des Rezeptes gewesen wäre, er hätte die Tomatensauce nie so hingekriegt, wie es das seine Mutter tat. Denn die Zutat, die Mutters Tomatensauce zur besten Tomatensauce der Welt machte war die Liebe, mit der sie die Sauce für ihren „kleinen Hamster“ zubereitete.
Mit Tränen in den Augen stand er in derKüche, wusch ab und trocknete danach das Geschirr mit dem Handtuch und die Augen mit dem Handrücken. Zwei Minuten später kam Veronica leicht genervt von ihrer wöchentlichen Reiki-Sitzung nachhause. Eine halbe Stunde früher als sonst. Noch am selben Abend flogen Mauros heimliche Kochversuche auf. Ein verdächtiger Duft nach Zwiebeln und gekochten Tomaten an seinen Händen sowie Saucenspritzer auf seinem Hemdkragen verrieten ihn.
Neuerdings schwelgen Mauro und sein nostalgischer Gaumen wieder zweimal pro Woche in Kindheitserinnerungen. Immer Mittwochabends und Samstagmittags, in der Küche von Mauros Mama. Mit am Tisch sitzt Claudia, Mauros neue Freundin, die Mauros Mama und ihre Tomatensauce schon bei der ersten Begegnung ins Herz geschlossen hatte. Aber das weißt du ja bereits, liebste Mama.
Schön, dass du meine Mutter bist.
Dein kleiner Hamster
P.S.
Claudia und ich freuen uns schon auf Mittwochabend.
Ein Glücksfall, der selten kommt
David Hugentobler durfte für ein Mal von der Rolle als Werbetexter für Bio Suisse, in die Rolle des Autors für Bio Suisse schlüpfen. In die Rolle des Kinderbuchautors, genaugenommen.
Agentur: Leo Burnett Schweiz
Illustration: Beatrice Bencivenni
Idee: Grit Wolany, David Hugentobler
Text: David Hugentobler